Die Washington Times: Die drohende Energiefalle | Von Vladislav Inozemtsev

Die jüngsten Entwicklungen in der europäischen Energiepolitik bestätigen, dass Russland sich endgültig von dem "zuverlässigen Energielieferanten", als den es der Kreml jahrzehntelang bezeichnete, in eine Macht verwandelt hat, die ihre Öl- und Energieexportkapazitäten als strategische Waffe gegen "unfreundliche Nationen" (deren Liste sich ständig erweitert) einsetzt.

Selbst die jüngsten Zugeständnisse der Deutschen und Kanadier bei der Lockerung ihrer Sanktionen gegenüber Moskau konnten die Gasströme in der Ostsee nicht vollständig wiederherstellen. Dies zwang viele EU-Mitgliedstaaten sowie das Vereinigte Königreich, Notmaßnahmen zu ergreifen, die in den kommenden Monaten eingeführt werden.

Nachdem man jahrelang geglaubt hat, der Energiehandel sei Teil der globalen Wirtschaftsroutine, sind die politischen Entscheidungsträger zu einer eher strategischen Vision zurückgekehrt, die während des Kalten Krieges vorherrschte.

Dieser Ansatz wurde von Alexander Mirtchev, einem renommierten Energieexperten, stellvertretenden Vorsitzenden des Verwaltungsrats des Atlantic Council und Gastprofessor an der Schar School of Policy and Government der George Mason University, vorausgesehen und seit Jahren verfochten. In seinem Buch, das lange vor der russischen Invasion in der Ukraine veröffentlicht wurde (The Prologue: The Alternative Energy Megatrend in the Age of Great Power Competition) argumentiert er, dass die Energiepolitik der Großmächte - ob sie nun auf der Produktion fossiler Brennstoffe oder der Entwicklung von Strategien für erneuerbare Energien basiert - nach dem Kriterium der "Sicherheit" bewertet werden sollte. Dieser Begriff bezieht sich nicht auf den Aktienmarkt, sondern bezieht sich im weitesten Sinne auf den Einfluss der Sicherheit auf die Energiepolitik.

Dr. Mirtchevs Buch befasst sich mit kritischen Aspekten der "Sicherheit" in der heutigen Zeit. Er geht der Frage nach, wie und wann sich die traditionelle militärisch-politische Bedeutung des Begriffs verändert hat und nun auch finanzielle und ökologische Prioritäten einschließt. Mirtchev vertritt die Ansicht, dass Energiefragen seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, ein grundlegender Bestandteil des Sicherheitsumfelds sind, und, wie Dr. Kissinger erwähnte, bietet das Buch "eine umfassende Untersuchung der sich verändernden Energielandschaft, die Fragen aufwirft, die Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger in den kommenden Jahrzehnten beschäftigen werden".

Die jüngsten Ereignisse, so Dr. Mirtchev, können zum großen Teil als Reaktion auf die derzeitige Energiewende (er nennt sie "den Megatrend") betrachtet werden. Während man die Regierungszeit von Präsident Putin als eine Periode des russischen "Energieimperialismus" bezeichnen könnte (der russische Präsident selbst sprach früher davon, dass sein Land eine "Energiesupermacht" sei), ließe sich die Politik Moskaus besser aus der Perspektive der Transformation Europas in eine dekarbonisierte Wirtschaft erklären.

Dies würde die russische Führung mehr beunruhigen als jede NATO-Erweiterung. Die Hinwendung zu einer "grünen Wirtschaft" im Westen und die Pläne zur Einführung einer Kohlenstoffsteuer haben im vergangenen Jahr im Kreml eine regelrechte Panik ausgelöst. Es könnte durchaus sein, dass Moskau seine Expansionspläne beschleunigt, bevor die Abhängigkeit Europas von seinen Energielieferungen unter ein bestimmtes kritisches Niveau sinkt - andernfalls würde die wichtigste Druckmittelquelle des Kremls einfach verschwinden (in den 2000er Jahren unterschätzten Putins Berater die Bedrohung durch die Schieferrevolution, die die Vereinigten Staaten energieunabhängig machte, sowie die Entwicklung des LNG-Gasmarktes grob - daher glaubt der Kreml wahrscheinlich, dass er wenig Spielraum für eine weitere Fehlkalkulation hat). Mit anderen Worten: Der heutige Konflikt in Europa ist zumindest teilweise auf einen Wandel in der Weltwirtschaft zurückzuführen, den Russland als zu gefährlich für sich selbst ansieht und der die Energielieferungen nach Europa zu seiner wichtigsten geoökonomischen Waffe gemacht hat, die darauf abzielt, das Machtgleichgewicht zwischen dem Westen und Russland radikal zu verändern.

Noch wichtiger scheinen Dr. Mirtchevs Vorbehalte gegenüber der "Revolution der erneuerbaren Energien" zu sein, da europäische Politiker ihre Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass nur eine vollständige Umstellung auf "grüne Energie" Europa vom russischen Einfluss befreien kann (derzeit sind die EU-Führer gezwungen, auf venezolanisches, saudisches und iranisches Öl sowie auf katarisches, algerisches, aserbaidschanisches, ägyptisches, israelisches und künftig auch libysches Gas zu setzen, um mit Hilfe einiger demokratisch zweifelhafterer staatlicher Akteure ein Gegengewicht zum "autokratischen" Russland zu schaffen.

Das Zeitalter der erneuerbaren Energien wird zu geopolitischen Spannungen führen, da die neuen Kunden neuen autoritären Anbietern gegenüberstehen werden. Heute wird dieser Übergang vor allem als ein Triumph der neuen, vor allem von den westlichen Nationen bereitgestellten Technologien über die alten, von ihren Gegnern verwendeten Technologien gesehen. Rohstoffe und Produktionsanlagen sind jedoch entscheidend für die Herstellung dieser Technologien.

Der Übergang zu "grüner Energie" basiert auf der Nutzung von Rohstoffen, die noch knapper werden könnten, als man in den 1970er Jahren glaubte, dass es Öl und Gas sind. Die globale Verteilung dieser Güter ist möglicherweise weniger gleichmäßig als die der fossilen Brennstoffe (die Energierevolution der 2010er Jahre in den USA hat bewiesen, dass die fossilen Brennstoffe doch nicht so knapp sind wie angenommen). 1976, auf dem Höhepunkt der Ölkrise, förderten die Golfstaaten "nur" 1,65 Mal mehr Öl als die heutigen OECD-Länder - und in nur 30 Jahren holten letztere auf. Außerdem waren die ölproduzierenden Länder nie die geopolitischen Gegner des Westens (die Sowjetunion stieg zum Zeitpunkt ihres Untergangs zum Ölexporteur auf), aber die erneuerbaren Energierohstoffe und Technologiequellen von morgen könnten zumeist in den Händen direkter Gegner des Westens liegen.

Erneuerbare Energien hängen von Sonnenkollektoren, Elektromotoren und Batterien ab - und für deren Herstellung werden Seltene Erden benötigt. Chinas Kontrolle über Lithium, ein lebenswichtiges Element der Seltenen Erden, verdeutlicht dieses Problem. Chinas Anteil an der Produktion von Seltenen Erden liegt bei etwa 60 Prozent (und wenn man die Zahlen von Myanmar hinzurechnet, werden es über 70 Prozent sein).

Dieses Thema wurde kürzlich von Janet Yellen angesprochen, die erklärte, dass die Vereinigten Staaten "nicht zulassen können, dass Länder wie China ihre Marktposition bei wichtigen Rohstoffen dazu nutzen, unsere Wirtschaft zu stören oder ein unerwünschtes geopolitisches Druckmittel einzusetzen". Und während Saudi-Arabien und Russland seit Jahrzehnten Rohölexporteure sind, steht China kurz davor, viele für die Produktion erneuerbarer Energien wichtige Elemente zu monopolisieren. China hat einen Anteil von 97 Prozent an der Produktion von Siliziumwafern, 79 Prozent an der Produktion von Photovoltaikzellen und 67 Prozent an der Produktion von Polysilizium.) Selbst die kapitalintensive Produktion, eine traditionelle Hochburg der westlichen Industrie, ist gegen diese Dynamik nicht immun: China produziert derzeit 58 Prozent aller Elektrofahrzeuge. Wenn man dieses neue Energieparadigma unter dem gleichen Blickwinkel der "Absicherung" betrachtet wie das alte, sollten sich die Vereinigten Staaten noch mehr Sorgen über Chinas kometenhaften Aufstieg machen.

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